Auf die Walz, in die Welt
15.04.13
Max geht in seiner schwarzen Kluft am Ortsschild von Rascheid vorbei und blickt nicht zurück. So will es die Tradition. Denn der Zimmermannsgeselle ist jetzt erst einmal weg. Max geht auf die Walz. „Ich möchte berufliche Erfahrungen sammeln und die Welt kennenlernen“, erzählt mir Max kurz vor seinem Abschied, an dem ich teilnehmen durfte. Es war ein sehr emotionaler Moment. Für Max, für seine Freunde, seine Gesellen-Kameraden, seine Eltern und ja, auch für mich.
Selten habe ich so die Kraft von Tradition, altem Handwerk, Freundschaft, Familie und Heimat gespürt wie an diesem Tag. Denn für Max beginnt nicht nur ein spannendes Abenteuer – in dem er die berufliche Herausforderung sucht und Lebenserfahrung dazu gewinnen möchte – sondern der Zimmermann muss auch seine Freunde und Familie zurücklassen.
Seiner Heimat darf sich der 22-Jährige in den nächsten drei Jahren und einem Tag in einem Radius von 50 Kilometern nicht mehr nähern – auch das gehört zur Tradition der Wanderschaft.
Im Mittelalter war die Walz Pflicht
War es im Mittelalter noch Pflicht auf die Walz zu gehen, um überhaupt den Meisterbrief zu erhalten, so nahm die Bereitschaft der Gesellen auf Wanderschaft zu gehen im 19. und 20. Jahrhundert ab. Seit den 80er Jahren ist das Traditionsbewusstsein für die Tippelei wieder angestiegen, und mir wurde auf Max’ Abschied erzählt, dass sich in Deutschland gerade ungefähr 300 Gesellen auf Wanderschaft befinden.
Alle Bräuche und Traditionen der Wandergesellen zu verstehen, ist für mich „Kuhkopf“, so nennen die Wandergesellen alle Außenstehenden, gar nicht so einfach. Bei der „Vereinigung der rechtschaffenen fremden Zimmer- und Schieferdeckergesellen“, zu der jetzt auch Max gehört, zählt das Wort, eine aufgeschriebene Satzung gibt es nicht.
Und dieser „Flurfunk“ ist ganz bewusst nicht für alle Ohren bestimmt. „Natürlich führt dies dazu, dass oft Missverständnisse entstehen“, erzählt mir Phillip, der bereits von der Walz zurückgekehrt ist.
Max hat seinen „Charlottenburger“, ein bedrucktes Tuch, in dem die Wandergesellen ihr Hab und Gut und den eigenen Hammer verstauen, schon gepackt.
Seinen Wanderstock hat er selber gemacht und die „Ehrbarkeit“, eine schwarze Krawatte mit Handwerkssiegel, an dem sich die Reisenden als Rechtschaffene erkennen können, wurde ihm bereits verliehen.
Ein weiteres Erkennungsmerkmal ist ein Ohrring. Wichtiger Bestandteil seiner Ausrüstung ist das Wanderbuch, in dem der Wandergeselle nicht nur die Stempel der Orte sammelt, die er bereist hat, sondern hier werden auch seine Arbeitszeugnisse reingeschrieben und es dient ihm als Ausweis.
Kein Handy, kein Facebook
Seinen Eltern wird bewusst, dass der Abschied naht. Ein Handy darf Max auf seine Reise nicht mitnehmen, soziale Netzwerke wie Facebook sind Tabu. Auch das eigene Auto muss in der Heimat bleiben. Vater Bernd muss schlucken. „Auch wenn mir klar ist, dass Wandergesellen als Jungen gehen und als Männer zurückkommen, es ist für unsere Familie schon sehr schwer“, erzählt mir Bernd.
Max fällt die Trennung nicht leicht. Doch Kevin, ein Geselle, der sich gerade auf Wanderschaft befindet und zur Verabschiedung angereist ist, erzählt mir: „Abzureisen ist nicht so schwer, wiederkommen dagegen sehr.“ Im ersten Jahr muss Max im deutschsprachigen Raum bleiben, danach möchte er alle Kontinente bereisen.
Gleich ist es soweit. Alle Gesellen, die zur Verabschiedung gekommen sind, ziehen zusammen mit ihm in einer „Schlange“ durchs Dorf, es wird gesungen und es werden Geschichten von der Wanderschaft erzählt.
Ich mache mit Max noch aus, dass ich ihn gerne in einem halben Jahr wiedertreffen möchte, damit er mir und Euch von den ersten Erfahrungen seiner Tippelei erzählen kann. Dann passiert Max mit zwei Wandergesellen, die ihn auf der ersten Etappe seiner Reise begleiten das Ortschild und Max dreht sich nicht mehr um. So will es die Tradition.
Bericht von Sven Nitsche aus dem Bausparfuchs Blog